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Interview: Jacques-André Schneider

Jacques-André Schneider, Doktor der Rechte, Rechtsanwalt und Mitglied der Genfer Anwaltskammer, ist Dozent an der Juristischen Fakultät der Universität Lausanne. Er hat viele Publikationen in den Bereichen Sozialrecht, berufliche Vorsorge und institutionelle Vermögensverwaltung verfasst. Der ausgewiesene Experte hat sich schon früh für einen verantwortungsvollen Umgang mit Anlagen stark gemacht. Er wird an der Mitgliederversammlung von ACTARES als Gastreferent auftreten.

ACTARES: Zeigen die Zurückweisungen, welche die Verwaltungsräte von Julius Bär und Actelion für Anträge an der Generalversammlung einstecken mussten, den Anfang einer Bewusstwerdung der Schweizer Aktionärinnen und Aktionäre, oder gibt es dafür andere Erklärungen?
Jacques-André Schneider: Es gibt verschiedene Gründe für diese Entwicklung. Die Frage der Managerlöhne in börsenkotierten Unternehmen wurde seit der Börsenkrise 2002/2003 immer wieder aufgegriffen. Doch die Vergütungen schossen weiter in die Höhe. Obwohl die Minder-Initiative damals lanciert wurde, stiessen die Kritiker nur auf wenig Anklang. Um den Wendepunkt herbeizuführen, brauchte es die Krise von 2008. Die gesellschaftliche Missbilligung dieser Lohnpraktiken hat sich verstärkt. Zahlreiche institutionelle Anleger haben festgestellt, dass die exzessiven und kurzfristigen Vergütungen der Manager, vor allem im Bankensektor, teilweise dazu beitrugen, Unternehmen zu zerstören.

Ohne Unterstützung aus dem Ausland, hauptsächlich aus dem angelsächsischen Raum, kann keine Auflehnung der Aktionärinnen und Aktionäre Erfolg haben. Lohnt es sich denn überhaupt, in der Schweiz kritisch zu sein?
Selbstverständlich! Die Schweiz hat eine äusserst internationale Unternehmensstruktur, die für das angelsächsische Aktionariat sehr interessant ist. Doch ohne ein kritisches Aktionariat in der Schweiz wäre der Einfluss angelsächsischer Kritik in den letzten Jahren wahrscheinlich weniger stark gewesen. Die Abstimmung über die Minder-Initiative hat die Besorgnis der Schweizer Bürgerinnen und Bürger, unter anderem der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, zum Ausdruck gebracht.

ACTARES verfügt nur über beschränkte Mittel. Der analytische Blickwinkel unterscheidet sich von demjenigen professioneller Institutionen; Gleiches gilt für die Abstimmungsempfehlungen. Wäre die Arbeit von ACTARES nützlicher, wenn der Konsens mehr im Vordergrund stünde? Oder wenn sie noch radikaler wäre?
Dank der eigenständigen Stellungnahmen und der aktionärsnahen Positionierung verfügt ACTARES über ein interessantes Profil. Etwas ausserhalb des Mainstreams hebt sich ACTARES manchmal durch eine stärkere Kritik ab; dies bereichert die Vielfalt der Meinungen. Sobald man hingegen Aktien hält, akzeptiert man zwangsläufig implizit, dass das Unternehmen an der Börse kotiert und am Kapitalmarkt verankert ist. Dies schränkt die Suche nach anderen Ansätzen wie der genossenschaftlichen Gegenseitigkeit, dem solidarischen und sozialen Unternehmen oder sogar – mit den Begriffen der klassischen Radikalität ausgedrückt – der Verstaatlichung oder der Selbstverwaltung ein.

Die Minder-Initiative verpflichtet – wie der Gegenvorschlag dies in geringerem Ausmass auch getan hätte – die Pensionskassen, ihre Aktionärsrechte auszuüben. Eine gute Sache? Oder wäre es besser gewesen, dies auf freiwilliger Basis zu belassen?
Fast 100 Prozent der Stimmbevölkerung wollten die gesetzliche Abstimmungspflicht mit einem Ja zur Initiative oder zum Gegenvorschlag einführen. Dieses Ergebnis wurde möglich, weil seit Langem viele Institutionen und Personen ihren Willen bekundet hatten, ihre Aktionärsrechte in der Schweiz aktiv auszuüben. Daher beruhten die Lancierung der Minder-Initiative und der Gegenvorschlag auf bereits gut entwickelten und vor allem auch legitimen Praktiken. Wäre das Ergebnis ohne diese vorgängigen freiwilligen Vorgehensweisen dasselbe gewesen? Das ist nicht sicher.

Jacques-André Schneider wird an der Mitgliederversammlung von ACTARES als Gastreferent auftreten.